Dienstag, 12. November 2024

Mithu Sanyal: Antichristie (Rezension)

London 2022, die Königin ist tot! An den Trauernden vorbei rennt Durga: internationale Drehbuchautorin, Tochter eines Inders und einer Deutschen, und voller Appetit auf Rebellion und Halluzinationen. Erzählte Mithu Sanyals gefeiertes Debüt „Identitti“ von Identitätspolitik, fragt „Antichristie“ nach dem Kolonialismus und der Gewalt in uns allen. Durga soll an einer Verfilmung der überbritischen Agatha-Christie-Krimis mitarbeiten. Doch auf einmal ist es 1906, und sie trifft indische Revolutionäre, die keineswegs gewaltfrei wie Gandhi kämpfen. Und dann explodiert die erste Bombe. Was wäre richtiger Widerstand in einer falschen Welt? Niemand schreibt so aberwitzig, klug und liebend wie Mithu Sanyal. „Antichristie“ bringt die ganze Welt in die deutschsprachige Literatur.
Ich weiß nicht was ich erwartet habe, aber zumindest nicht das was ich bekommen habe. Agatha Christie soll modern werden (was hier fast so erscheint wie: Jedem gefällig) und wirft dabei einige Fragen auf, die man sich vermutlich sonst nicht stellen würde (Könnte Poirot nicht schwarz gewesen sein?). Ich gebe zu, alleine das wäre einen eigenen Roman wert gewesen und könnte vermutlich auch sehr übertrieben und witzig präsentiert werden. Aber hier geht es nicht darum, denn auch wenn Agatha Christie bzw. die Verfilmung eines ihrer Werke, der Aufhänger für Durgas Geschichte ist, so wird sie und der Leser sehr schnell in die Vergangenheit verfrachtet und muss sich nun mit den Problemen von (indischen) Hindus in England auseinandersetzen. Und schnell wird klar, dass die Taten der Vergangenheit auch Auswirkungen auf die Gegenwart haben (und auch Durga merkt, dass ihre Taten Nachwirkungen haben). Nun, Sanyal schreibt fesselnd, nur ... ich bin kein Inder und war ein bisschen von der indischen Geschichte Anfang des 20. Jahrhunderts überfordert. Ghandi kennt man, bzw. glaubt ihn zu kennen, aber in ANTICHRISTIE spielen so viele historische Persönlichkeiten eine Rolle, das es besser gewesen wäre, wenn man sich in indischer Geschichte auskennt. Zwar spielen Dr. Who und die Tardis (und andere Gestakten der PopKultur) eine Rolle, aber das Hauptaugenmerk liegt auf der indischen Geschichte (jenseits jeglichen Bollywood-Klischees). Nun, wenn man sich mit Zeitreisegeschichten auseinandersetzt ist man so einiges gewohnt, aber diese Geschichte ist dann doch sehr verwirrend, vor allem die Zeitsprünge, die teilweise innerhalb eines Absatzes geschehen. Auch wird es aufgrund zahlreicher Personen (sowohl im jetzt als auch in der Vergangenheit) etwas unübersichtlich. ANTICHRISTIE ist ein anspruchsvolles Projekt, das mich leider als Ahnungslosen (was die Geschichte Indiens anbelangt) streckenweise sehr alleine lässt und ich mich bei Wikipedia bedienen musste um Zusammenhänge zu verstehen.
Ich weß demnach nicht an wen sich das Buch wendet und ob es viele Deutsche gibt, die mit der Geschichte der Inder und der Briten vertraut sind. Sieht man mal von Ghandi ab, aber wenn man das genau hinterfragt stellt man fest, dass es vieles gibt, was man nicht weiß, das hat auch Ben Kingsley nicht geändert.
Mithu Sanyal mag eine intellektuelle Leserschaft ansprechen und auf gewisse Weise ist es auch ein interessantes Buch, das mich aus meiner Komfortzone gezogen hat, aber es war nicht das was ich erwartet habe. Und ja, ich habe eine skurrile aberwitzige Story erwartet, aber das war mir dann doch zu viel Revolution und alles andere als aberwitzig.
Das interessanteste war am Ende dann tatsächlich der Abspann, in dem die Autorin mehr über die Entstehungsgeschichte des Romans erzählte. Das war viel spannender als die Seiten davor. Und verständlicher.

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