Montag, 1. Januar 2024

Harry Kemelman: Am Montag flog der Rabbi ab (Rezension)

Schon als Jugendlicher sind mir die Rabbi Small-Bücher von Harry Kemelman aufgefallen, aber interessiert haben sie mich nicht. Ebenso wenig wie Pater Brown (oder andere irgendwie religiös anmutend erscheinende Krimis). Aber der Lesegeschmack ändert sich mit der Zeit und vielleicht bin ich offener für andere Bücher. Inzwischen habe ich ja auch Pater Brown gelesen und auch die amüsanten Bücher um Schwester Isabella gehen ja in eine religiöse Ermittlerrichtung (mit großem Unterhaltungswert und ohne missionarische Botschaft).
Aber wer weiß, ob ich die Rabbi Small Bücher jemals gelesen hätte, wenn meine Nachbarin nicht ein paar Bücher der Reihe hatte und der Meinung war, dass sie mir gefallen würden...
David Small ist Rabbi in einer jüdischen Gemeinde an der Ostküste der Vereinigten Staaten, nicht weit von Boston entfernt. Seine Spezialität ist der Pilpul, eine talmudische Methode, feinste Unterschiede zu treffen und so der Wahrheit auf die Spur zu kommen. Weil er diese Methode hervorragend beherrscht, hilft der Rabbi immer wieder seinen Schäfchen aus der Patsche, ist aber dennoch nicht sonderlich beliebt, weil er sich weigert, irgendwelche Zugeständnisse an den Zeitgeist zu machen. Kemelman legte Wert auf die Feststellung, dass es die traditionelle Aufgabe des Rabbis sei, eher als Richter und Ausleger des Rechts denn als religiöser Führer zu wirken.
Der Morde aufklärende Amateurdetektiv David Small lieferte so nicht nur spannende Kriminalgeschichten, sondern machte quasi nebenbei den Leser auch noch mit jüdischen Traditionen und Denkweisen vertraut: Er führte ihn ein in das alltägliche Leben einer weit überwiegend dem Konservativen Judentum zugehörigen, typischen US-amerikanischen jüdischen Gemeinde. Als eigentliche Botschaft der Romane Kemelmans erscheint so die Ablehnung der Assimilation und das Werben um Verständnis und Anerkennung der Differenz. Und nebenbei wirkt alles sehr menschlich ... und auch der Humor kommt nicht zu kurz.
Rabbi David Small ist nach Israel gereist, um Urlaub zu machen. Doch der Sabbat in Jerusalem verläuft ganz anders, als er sich das vorgestellt hat: Bei einer Bombenexplosion sterben zwei Männer. Der israelische Geheimdienst verdächtigt den Rabbi, seine Finger im Spiel gehabt zu haben. Er hat alle Hände voll zu tun, sich aus dieser misslichen Lage zu befreien. Und dann taucht auch noch ein junger Mann auf, dessen Unschuld er ebenfalls beweisen muss.
Am Montag flog der Rabbi ab ist der vierte Fall mit Rabbi  Small, aber ich hatte nicht das Gefühl, dass ich die anderen Teile kennen müsste. Am Anfang hatte ich auch Bedenken, ob mir das Buch gefallen würde, die Thematik um Terrorismus und Geheimdienste ist nichts was ich unbedingt lesen muss. Aber ... der Rabbi hat mich überzeugt. Das ernste (und immer noch aktuelle) Thema Israel wird sensibel verpackt und das Leben der Juden und Rabbi Smalls Familie stehen mehr im Hintergrund. Ernst, aber gemütlich und wenig Action... und trotzdem spannend. Und während Rabbi Small seine Probleme in Jerusalem hat, überlegt seine amerikanische Gemeinde, welcher Rabbi nun der bessere wäre ... der "alte" in Jerusalem, oder der Ersatz, der das Rabbidasein eigentlich beendet hatte. 
AM MONTAG FLOG DER RABBI AB ist ein spannender Krimi mit einigen witzigen Momenten, welche den Alltag der Juden in Amerika und Israel dem ahnungslosen Leser auf unterhaltsame Weise nahebringt. Geschrieben 1974 wirkt der Krimi alterslos (so wie man es von guten Krimis erwarten darf, die man über Jahrzehnte immer wieder lesen möchte). Die Charaktere wirken authentisch, wenn auch manchmal überzeichnet (sofern des die Gemeinde des Rabbis betrifft, der Rabbi selbst ist ein vielschichtiger, nicht unbedingt liebenswerter Protagonist, der alles andere als ein Superermittler ist und durchaus seine Schwächen hat und dadurch sehr glaubhaft wirkt. 
Religiös? Ja
Langweilig? Nein
Sehr unterhaltsam ... und ich habe noch ein paar weitere Bücher mit Rabbi Small vor mir. 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Durch das Kommentieren eines Beitrags auf dieser Seite werden automatisch über Google personenbezogene Daten erhoben. Diese Daten werden ohne Ihre ausdrückliche Zustimmung nicht an Dritte weitergegeben. Weitere Informationen finden Sie in der Datenschutzerklärung. Mit dem Abschicken eines Kommentars wird die Datenschutzerklärung akzeptiert.