Freitag, 30. September 2022

Tobias Reckermann: Gotheim an der Ur (Rezension)

Seit Jahrhunderten durchlebt Gotheim eine wechselhafte Geschichte, geprägt von Kriegen, in die die Stadt mittelbar oder unmittelbar verwickelt wird. Ihr Reichtum beruht auf dem Export von Waffen, und immer, wenn sich neues Unheil ankündigt, erwachen die Todesfabriken der schwarzen Zitadelle, gebaut auf Moorland, zu neuem Leben und speien Feuer, Eisenstaub und Ruß.
Das ungewöhnliche Buch ist der siebte Teil der im Blitz-Verlag erschienen Reihe H. P. LOVECRAFTS SCHRIFTEN DES GRAUENS. In fünf Erzählungen zeichnet Tobias Reckermann den Abstieg Gotheims in die Finsternis nach: 
Die innere Finsternis
Vorsicht auf der letzten Stufe
Die schwarze Zitadelle
Ur
Tartaros
Bereits in seinem Vorwort bereitet Reihenherausgeber Jörg Kleudgen den Leser darauf vor, was ihn erwartet: Eine Stadt am Rande des Verfalls. Und ich gebe zu, dass es das Vorwort war, das mich wirklich neugierig auf den Rest des Buchs gemacht hat.
Und leichte Kost wird bei weitem nicht geboten. Andererseits: Wer Lovecraft liest, ist auch mit den sperrigsten Geschichten vertraut und findet sich darin problemlos zurecht. Der "normale" Horrofan dagegen wird wohl seine Schwierigkeiten haben in das Gotheim an der Ur (Ähnlichkeiten mit der antiken Stadt Ur oder Gotham City sind nicht von ungefähr) hineinzufinden. Reckermann fordert uns einiges ab. In einer ungemein dichten Sprache erzählt er die Geschichte einer deutschen Stadt zwischen Industrialisierung, Krieg und Zerstörung. Dabei erschafft er vor den Augen des Lesers eine überaus greifbare Stadt des Verfalls und der Entropie... auf sehr hohem Niveau, das auch an meine Grenzen gestoßen ist. Denn, so interessant der Aufbau und die Beschreibung der Stadt auch ist: Die Geschichten konnten mich nicht überzeugen. Gotheim ist die Hauptperson, das merkt man mit jeder Zeile, die fast schon wie eine verdrehte Liebesbezeugung (an eine fiktive Gestalt) erinnern, aber ... irgendwie ist es zu viel des Guten. Eine Kurzgeschichte, welche die Stadt beschreibt wäre gut gewesen und hätte das Feuer der Faszination am Brennen gehalten, aber je länger man in die Untiefen der Stadt eintaucht, desto mehr verliert man sich in langatmigen Beschreibungen, die sehr ermüden und kaum noch begeistern.
Das, was vielversprechend begann verläuft im Sande und es fällt schwer sich auf die einzelnen Geschichten einzulassen, die am Ende nur wie Einheitsbrei wirken.
Die Stadt selber hat mich begeistert, aber die Geschichten werden ihr meiner Meinung nach nicht gerecht.

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